Lieber Herr Salzer, Sie waren von der ersten Stunde an mit dabei, als die denkstatt gegründet wurde. Der Name denkstatt geht sogar auf Ihren Einfallsreichtum zurück. Sie haben in den ersten Jahren das Unternehmen erfolgreich mitaufgebaut, bevor Sie sich dann vollumfänglich der Geschäftsführung im eigenen Familienbetrieb, der heutigen SALZERGRUPPE, gewidmet haben. Welchen Blick haben Sie als Unternehmer auf die Entwicklungen der letzten 30 Jahren und wo stehen wir heute mit den Nachhaltigkeitsthemen?
Thomas Salzer: Der Fokus bei Fragen des Umweltschutzes hat sich ziemlich geändert. Heute steht vor allem das Thema Klimaschutz im Vordergrund, vor 30 Jahren wurde über viel unterschiedlichere Themen diskutiert. Es wurde zum Beispiel der Umgang mit einzelnen Chemikalien diskutiert, Abwasserprobleme der Industrie, saurer Regen und dafür wurden tatsächlich schneller Lösungen gefunden. Heute konzentriert sich vieles auf die Frage des Klimaschutzes und der CO2-Emissionen und hier sprechen wir von einer ganz anderen Zeitachse, was die Lösung betrifft und von dem Problem, dass die Erfolge nicht einfach zu sehen sind. Das bedeutet gleichzeitig, dass das breite Verständnis zu Nachhaltigkeit häufig auf Klimaschutz und Carbon Management reduziert wird.
Auf der anderen Seite ist die Legistik heute viel umfassender, man versucht mit möglichst genauen Regeln die Zukunft zu planen. Den Zuwachs an Regularien begrüßen viele, wir müssen aber aufpassen, dass es nicht zu einer Überregulierung kommt, die das Innovationspotenzial und die Wettbewerbsfähigkeit einschränkt. Das heißt nicht, dass wir in allem so weiter machen sollten, wie gehabt. Nur dürfen wir nicht vergessen, dass Märkte global sind und damit über die EU hinausgehen. Verlieren wir unsere Wirtschaftskraft, können wir die nötigen Investitionen in Klimaschutz nicht mehr tätigen.
Wie ließe sich denn aus Ihrer Sicht der Wunsch nach mehr Spielraum mit den Anforderungen vereinen, die sich aus der nachhaltigen Entwicklung und den EU-Klimazielen 2050 ergeben?
Klare Zielvorgaben, auf die sich die Gesellschaft – wir alle – einigt sind wichtig. Auch, dass diese tatsächlich erreicht werden. Wenn jemand zur Zielerreichung nicht beiträgt, muss das Konsequenzen haben. Aber es braucht eine gewisse Offenheit für den Weg dorthin. Es sollte den Unternehmen überlassen sein, wie sie diese Ziele erreichen, solange dies nachweislich geschieht. Was wir derzeit erleben, ist aus meiner Sicht eine Überregulierung in allen möglichen Bereichen. Diese Verbote erfordern kurzfristig unglaublich hohe Investitionen. Aber als Unternehmer kann ich mich mit den Investitionen nicht darauf verlassen, dass diese Regularien den Fahrplan für die nächsten Jahrzehnte vorgeben und halten. Nur funktionieren Unternehmen nicht in Legislaturperioden. Dasselbe gilt für die Klimaziele innerhalb der EU. Zu vielen Themen ändert sich die politische Meinung alle paar Jahre. Auch gehen die Meinungen in Österreich und auf EU-Ebene auseinander. Unternehmen brauchen aber Planungssicherheit, Verlässlichkeit und Konstanz. Das ist ein grundlegendes Problem der aktuellen politischen Debatte. Populistische Statements sind hoch im Kurs und das verstärkt das alles zusätzlich. Ich denke, hier brauchen wir dringend einen anderen Zugang. Wir müssen die gemeinsame Zielorientierung wieder in den Mittelpunkt rücken.
Wie ist das aus Ihrer Sicht zu schaffen? Welche Ideen haben Sie dazu?
Das ist, zugegeben, ein schwieriger Spagat. Wir brauchen zur Problemlösung die wissenschaftlichen Fakten, aber mit denen ist es schwierig, Menschen zu gewinnen und zu überzeugen. Teile der Gesellschaft sind wissenschaftskritisch. Das macht es nicht leichter. Ich würde mir aber wünschen, dass wir uns weg von Insellösungen bewegen und dass Gelder dorthin fließen, wo wir uns den größten Nutzen im Sinne des Klimaschutzes erhoffen, und zwar global gesehen. Die EU muss auf ihre Stärken bauen. Sie ist groß geworden durch Innovation, durch Rechtsstaatlichkeit und durch Effizienz. Dieses wichtige Gut dürfen wir durch die zunehmende Bürokratie nicht verlieren.
Außerdem sollte die Politik ihre Rolle anerkennen. Sie muss Bewusstsein dafür schaffen, welche Probleme es gibt und wo wir als Gesellschaft zusammenhalten müssen. Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Diesen Zusammenhalt sollte die Politik fördern. Sie muss die Leute dazu motivieren, sich einzubringen und mitzumachen. Auch da gibt es noch Luft nach oben.
Wenn wir gerade über die Rollen sprechen: Welche müssen die Unternehmen einnehmen?
Da gibt es zwei Aspekte. Erstens müssen Unternehmen anerkennen, dass sie durch ihr Handeln, etwa durch ihre Einkaufspraktiken oder in der Produktion, Auswirkungen verursachen. Zum Beispiel auf die Umwelt. Es gibt kein Handeln ohne Auswirkungen. Das muss uns auch bewusst sein. Aber wir haben natürlich die Möglichkeit, Einfluss darauf zu nehmen. Direkt und indirekt. Jedes Unternehmen kann über seine Produkte und Wertschöpfungskette auch in Richtung Kunden positive Veränderungen bewirken. Es kann an seiner Energieeffizienz arbeiten. Es kann Verpackung reduzieren, Abläufe und Materialverbrauch hinterfragen.
Zweitens tragen Unternehmen eine Verantwortung im Speziellen gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dieser Verantwortung muss ich nachkommen. Außerdem muss es mir als Unternehmen gelingen, das ganze Team mit ins Boot zu holen. Nur so kann es zu einer Veränderung in der Organisation kommen.
Hinsichtlich der Einbeziehung von Angestellten und einer gemeinsamen Bemühung um Nachhaltigkeit: Was können Sie beobachten, vielleicht auch in ihrem eigenen Unternehmen?
Also ich denke, dass sich ein breites Verständnis für die Notwendigkeit rund um Nachhaltigkeit und zum Umweltschutz schon mehr oder weniger durchgesetzt hat. Dafür kann man die Leute durchaus begeistern. Das sehe ich auch bei uns in der SALZERGRUPPE. Die Mitarbeitenden einzubinden ist ein guter Ansatz, wodurch wir viel erreichen können. Schwierig wird es aber dann, wenn wir ein Lieferanten-Audit nach dem anderen abarbeiten müssen und sich Nachhaltigkeit immer mehr auf Kundenaudits und spezielle Zertifikats-Anforderungen konzentriert. Diese Vielfalt untergräbt System wie EMAS oder die ISO 14000 und das Vertrauen in ihre Aussagekraft. Andererseits gefährdet diese Entwicklung auch die Leichtigkeit von Nachhaltigkeitsthemen. Nachhaltigkeit darf nicht zu einem reinen Abarbeiten von Checklisten und ständigen Audits führen. Wir müssen uns den Raum für Dialog, Innovation und Kreativität bewahren. Denn das fördert die Lust der Mitarbeitenden, sich wirklich für Nachhaltigkeit zu engagieren. Diesen Lernprozess müssen wir gemeinsam gehen. Auch ich bin davon nicht ausgenommen.
Gleich daran anschließend – was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie persönlich?
Für mich persönlich heißt Nachhaltigkeit, den eigenen Fußabdruck im Blick zu haben und ihn so klein wie möglich zu halten. Das heißt, ich hinterfrage mein Konsumverhalten. Was brauche ich, was werfe ich weg? Vieles kann man auch reparieren lassen. Dann auch die Frage: Brauche ich das wirklich? Also nicht fünf Paar Sneaker kaufen, um sie kurz darauf wegzuwerfen, weil sie mir nicht mehr gefallen. Stattdessen bringe ich meine Schuhe zur Reparatur und versuche sie so lange wie möglich zu tragen. Die richtige Mülltrennung ist auch so eine Sache. Ich denke, bei diesen Beispielen fängt die persönliche Nachhaltigkeit an.
Das ist natürlich nicht immer einfach. Auch ich muss meinen inneren Schweinehund besiegen. Gerade beim Thema Mobilität ist das oft sehr eindeutig. Ich kann weiterhin ins Auto steigen, oder meine Wege mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Aber das Wetter, der Verkehr, …. Je besser das Angebot, desto leichter wird der Umstieg – das ist klar. Weniger Flugreisen wäre auch ein wichtiger Beitrag. Nachhaltigkeit fängt bei jedem von uns an und jeder muss etwas machen. Jede Generation trägt hier Verantwortung. In die Vergangenheit zu schauen, bringt nicht viel. Wir brauchen den Blick auf das Jetzt und in Richtung Zukunft, um diese große Aufgabe zu schaffen. Und: Wir haben eine gemeinsame Verpflichtung auf dieser Welt.
Nun können Sie die Notwendigkeit von Nachhaltigkeitsthemen durch Ihre Nähe zur denkstatt, aber auch die Herausforderungen für Betriebe durch ihre Rolle als Unternehmer besonders gut nachvollziehen. Sie haben einen spannenden Blick durch beide Brillen. Vor diesem Hintergrund: Was heißt verantwortungsvolle Unternehmensführung für Sie?
Unternehmen dürfen sich nicht als reine Gewinnmaschinen verstehen. Natürlich ist Wirtschaftlichkeit und wirtschaftlicher Erfolg für einen gesunden Betrieb wichtig. Es schafft die Grundlage für Investitionen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber Unternehmen sind viel mehr als das. Für mich sind sie ein Organismus zwischen Eigentümer*innen, Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten, um eine gemeinsame Mission zu erfüllen und um gute innovative Lösungen für die Zukunft anzubieten. Verantwortungsvoll heißt in dem Zusammenhang, dass wir Verantwortung mit den Mitarbeitenden leben. Das zeigt sich schon darin, wie wir mit Mitarbeitenden umgehen und wie wir mit unserem Umfeld zusammenarbeiten. Verantwortung heißt aber auch, dass ich langfristig denke und nicht von einem zum nächsten Vorstandsvertrag. Die Zeitachse ist entscheidend.
Apropos Zeitachse: 30 Jahre sind eine lange Zeit. Was glauben Sie, macht die denkstatt aus?
Ohne Zweifel ist der denkstatt und dem ganzen Team da etwas Großartiges gelungen. Von den damaligen Mitspielern, die zur Anfangszeit des Unternehmens aktiv waren, sind nur wenige übriggeblieben. Kaum eine Unternehmensberatung in dem Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit hat es geschafft, so lange zu überleben und so zu wachsen. denkstatt ist hier ein Role Model, indem sie Unternehmen einen vernünftigen und praxistauglichen Zugang zu den vielen Fragen zum Thema Nachhaltigkeit anbietet. Sie liefert Unternehmen die passenden Werkzeuge, um die komplexen Fragen rund um Nachhaltigkeit effizient zu lösen. Ich wünsche der denkstatt und dem gesamten Team noch viele spannende und erfolgreiche Jahre. Sie ist auf dem besten Weg dorthin.
Vielen Dank für das Interview.
Ich danke Ihnen.