Sabine Schellander im Interview

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Sabine Schellander, Co-Head of Sustainability bei Greiner, blickt auf mehr als 14 Jahre Nachhaltigkeitserfahrung zurück. Was sie als Person besonders hervorhebt, ist ihre breite Vernetzung und ihr vielseitiges Engagement – sei es als Mitglied im CSR-Circle oder als Vortragende und Lehrende. Im Interview spricht sie über die Bedeutung von Kollaboration, aber auch über die Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für Nachhaltigkeitsverantwortliche. Neben der Nachhaltigkeitsreise des Kunststoffkonzerns Greiner formuliert sie auch einen eindeutigen Appell an alle: Wir müssen loslegen!

Liebe Sabine, in all den Jahren hast du einen reichen Wissensschatz im Sustainability Consulting gesammelt und als Nachhaltigkeitsverantwortliche in der Privatwirtschaft viele Themen angestoßen. Nachdem du tief im Operativen drinsteckst: Wie schätzt du den Status quo ein? Ist der Wandel schon im vollen Gange?

Sabine Schellander: Ich ertappe mich schon dabei, dass ich häufig hin- und hergerissen bin. An manchen Tagen habe ich den Eindruck, dass sehr viel weitergeht – deutlich mehr als früher. Die EU veröffentlicht eine Regulierung nach der anderen und das verstärkt natürlich den Druck. Das ist auch gut so. Dabei stellt sich mir aber die Frage: Reicht das aus und ist das der einzige Hebel, den wir haben? Schlussendlich haben wir noch viel zu tun und sind weit weg davon, die dringenden Themen wirklich zu lösen.

Ist dieses ambivalente Gefühl vielleicht typisch für den Beruf?

Es ist ein Stimmungsbild, das man auf jeden Fall kennt, wenn man sich länger mit Nachhaltigkeit befasst. In meinen 14 Jahren hat sich das eigentlich nicht geändert. Ich glaube aber, dass das in dem Job ein Stück weit normal ist und dass man lernen muss, damit umzugehen. Der springende Punkt ist, dass es nie diesen Moment gibt, wo wir als Nachhaltigkeitsverantwortliche sagen können: „Jetzt ist die Arbeit getan“. Das kann es auch gar nicht geben. Wir haben im Grunde Riesenthemen wie Klimawandel und Kreislaufwirtschaft oder auch die nachhaltige Gestaltung unserer Lieferketten am Schreibtisch liegen. Da sprechen wir nicht von Monaten, sondern von Jahren. Trotz all dieser Aspekte hat die Qualität und Tiefe von Nachhaltigkeitsmaßnahmen schon massiv zugenommen. Wir sehen heute zum Beispiel eine viel höhere Datenqualität bei Carbon Footprint-Berechnungen oder immer mehr Unternehmen, die Science Based Targets haben. Das hat alles mehr Gewicht als früher und das ist ein gutes Zeichen.

Wenn du sagst, die Tiefe nimmt zu: Was bedeutet das für die chemische Industrie?

In der chemischen Industrie sprechen wir von zwei wesentlichen Themen. Eines davon ist die Dekarbonisierung, die eng mit der Kreislaufwirtschaft verwoben ist. Das andere große Thema ist Kollaboration. Sind die Klimaziele festgelegt, müssen wir uns damit befassen, wie wir dekarbonisieren. Gleichzeitig müssen wir uns mit dem Recycling von Stoffen oder Produkten auseinandersetzen und überlegen, wo wir Sekundärrohstoffe herbekommen und welche Kosten damit verbunden sind. Für alles, was über meine eigenen unternehmerischen Grenzen hinausgeht, brauche ich meine Stakeholder*innen, wie die Rohstofflieferantinnen und -lieferanten oder auch Entsorgungsbetriebe. Für solche Themen brauchen wir sozusagen die gesamte Wertschöpfungskette am Tisch und müssen künftig eng zusammenarbeiten. Dafür braucht es allerdings auch ein Umdenken und die Fähigkeit, die eigenen Grenzen zu öffnen.

Wie gelingt das bei Greiner? Was sind eure Erfahrungen dazu und vielleicht auch Best Practices?

Bei Greiner gehen wir verstärkt in den Stakeholder*innen-Dialog. Wir versuchen, voneinander zu lernen und uns auszutauschen. Ich würde sagen, die Weichen sind gestellt. Wir machen schon vieles und wir wissen, was unsere Themen sind, die wir anpacken müssen. Unsere Klimaziele wurden kürzlich durch die Science Based Targets initiative bestätigt. Darauf sind wir stolz und das ist ein wichtiger Meilenstein für uns. Aber den Impact erzeugen wir erst durch konkrete Maßnahmen, zum Beispiel, wenn wir die Scope-3-Emissionen senken. Es gibt momentan viele Einzelprojekte und unser großes Ziel ist es, das Konzept der Kreislaufwirtschaft über das gesamte Produktportfolio und Unternehmen zu ziehen. Das gilt es nun mit den verschiedenen Stakeholder*innen zu erarbeiten.

Wie gestaltet ihr die Zusammenarbeit und welchen Herausforderungen begegnest du da?

Am Anfang suchen wir meist den Dialog, zum Beispiel mit Lieferantinnen bzw. Lieferanten oder Kundinnen bzw. Kunden. Wir sprechen miteinander und denken über verschiedene Ansätze und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit nach. Es gilt voneinander zu lernen. Nehmen wir das Beispiel Product Carbon Footprint her. Dafür braucht es neben einer engen Zusammenarbeit mit der Produktentwicklung auch die nötige Expertise zur Berechnung und natürlich die Primärdaten. Das sind jetzt nur drei von zahlreichen Einzelschritten, die meist aufwendiger sind, als es die Theorie vermuten lässt, und gesamtheitlich dann das Big Picture ergeben. Es braucht einfach Zeit und so etwas wie „Beziehungspflege“. Oft macht man zuerst einen Aufschlag und beginnt an der Beziehung zu arbeiten. In einem zweiten Schritt intensiviert man seine Bemühungen und dann setzt man im Bestfall echte Maßnahmen, die einem helfen, ans Ziel zu kommen. Das alles braucht viel Fingerspitzengefühl und es ist ein Balanceakt zwischen Geduld haben und hinterher sein. Ich denke, das macht auch die Rolle als Nachhaltigkeitsmanager*in aus.

Zum Traumjob Nachhaltigkeit: Nachhaltigkeitsverantwortliche sind für die Folgen des Klimawandels und andere Herausforderungen unserer Zeit ja sehr sensibilisiert. Gleichzeitig treffen sie auf schwierige Rahmenbedingungen. Wie schaffst du es, dir deine eigene Balance und Freude an dem Job zu bewahren und welche Tipps kannst du anderen geben?

Du musst Träumer*in und Realist*in gleichzeitig sein. Also an deiner Vision festhalten und Erfolg an dem messen, was möglich ist. Denn jeder Schritt nach vorne ist ein wichtiger und damit der Job lange Spaß macht, müssen wir Erfolge feiern. Dann sind Netzwerke und Allianzen für den fachlichen Austausch wichtig. Man kann sich für bestimmte Fragestellungen zum Beispiel ein Peer-Unternehmen suchen, das hier schon weiter ist. Persönliche Netzwerke sind aber auch für das Gefühl hilfreich, nicht alleine zu sein. Manchmal braucht es so eine Art Selbsthilfegruppe, wo man aussprechen kann, was einen gerade beschäftigt. Ein anderer Aspekt ist das gemeinsame Lernen, auch innerhalb des Unternehmens. Deswegen haben wir neben Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft bei Greiner noch eine dritte strategische Säule für Nachhaltigkeit: People.

Du bist auch dafür bekannt, dass du auf das „S“ in ESG einen großen Fokus richtest. Welche sozialen Aspekte sind denn die brennenden Themen?

Ich denke, wir müssen das „S“ auch im Sinne von Kollaboration zu verstehen. Wenn ich etwas bewegen will, gerade bei diesen großen Themen, brauche ich Innovationsleistung. Greiner hat knapp 11.600 Mitarbeitende. Da schlummert ein enormes Potenzial. Wir müssen die Menschen begeistern und gemeinsam Ideen generieren. Wir müssen Nachhaltigkeit als integrativen Bestandteil unserer Denk- und Handlungsmuster verankern, in unseren täglichen Arbeits- und Entscheidungsprozessen. Für diesen strukturellen Wandel brauchen wir die Menschen. Darüber hinaus umfasst das „S“ auch die klassischen Themen wie Gesundheit und Sicherheit, Diversität und Menschenrechte.

Welche Herausforderungen begegnen euch bei Greiner und welche Faktoren begünstigen den Wandel?

In unserer Branche ist der Umbau von einem linearen zu einem zirkulären System ganz zentral und das ist keine leichte Aufgabe. Dabei müssen alle im Boot sein. Beispielsweise müssen Lieferantinnen bzw. Lieferanten und Produzentinnen bzw. Produzenten das Thema Recycling vorantreiben, um Sekundärstoffe überhaupt verfügbar zu machen. Dafür braucht es das entsprechende Ausgangsmaterial. Da wiederrum hängt die Entsorgung, Sammlung, und Aufbereitung der Produkte dran. Damit das funktioniert, müssen wir die Produkte so gestalten, dass sie einerseits recyclebar sind und andererseits einen hohen Anteil an Sekundärstoffen enthalten, ohne natürlich die Produkteigenschaften negativ zu beeinflussen. Bei den Dimensionen reicht es nicht aus, wenn ich mich mit allen an einen Tisch setze. Es muss auch jeder seine Hausübung machen und wir müssen uns drauf einigen, wie wir sie machen. Das bedeutet unter anderem, dass wir einheitlichen Standards folgen, um die Vergleichbarkeit von Datensätzen zu gewährleisten. Was es bei all den Schwierigkeiten deutlich leichter macht, ist das Commitment vom Vorstand, und zusätzlich vom Eigentümer in unserem Fall.

Welche Rolle nimmt aus deiner Sicht die Beratung bei den Nachhaltigkeitszielen von Unternehmen ein und wo wird die Reise hingehen?

Die Nachhaltigkeitsberatung ist für mich eine Art Sicherheitsnetz, damit wir nach dem neuesten wissenschaftlichen Stand arbeiten und sich das Unternehmen auf dem richtigen Weg befindet. Dafür braucht man von Zeit zu Zeit die externe Brille. Ein anderer Punkt ist, dass man Wege durch den Erfahrungsschatz der Berater*innen abkürzen kann. Ich kann mich als Nachhaltigkeitsverantwortliche nicht in alle Standards und Themen tief einarbeiten. Dieses tiefe Spezialwissen liefert mir die Beratung und das wird sich in den nächsten Jahren stark weiterentwickeln. Was wiederrum bedeutet, dass sich auch Berater*innen noch mehr spezialisieren werden müssen, – um uns gezielt zu unterstützen. Darüber hinaus muss uns die Beratung immer einen Schritt voraus sein und Einblicke geben können, was andere so machen und wie wir als Unternehmen aus diesen Erfahrungen lernen und Abkürzungen nehmen können. Da wird es noch viel Bewegung geben.

Wenn wir schon über die Zukunft sprechen: Wo wird die Reise in den nächsten 30 Jahren hingehen?

In 30 Jahren sind wir im Jahr 2053 angelangt. Ich habe 1995 studiert und das ist zu 2023 eine ähnliche Zeitspanne. Damals war der Klimawandel schon ein Thema. Genauso Dekarbonisierung. Weitere 30 Jahre darf es jetzt einfach nicht mehr dauern. Ich wünsche mir schlichtweg, dass jetzt wirklich alle loslegen, alles geben und fundiert arbeiten. Auf Konferenzen höre ich immer wieder, was man nicht schon alles tut. Aber alles in allem sind wir meiner Meinung nach einfach zu langsam unterwegs. Dann hört man Aussagen, wie, dass man alleine nichts bewegen könne. Die Konsumentinnen und Konsumenten müssen umdenken und ihr Einkaufverhalten verändern, die Lieferantinnen und Lieferanten günstiger werden und die richtigen Lösungen anbieten, sonst wird das nichts. Es wirkt oft so, als schiebe man die Verantwortung hin und her. Erst letztens habe ich auf einer Podiumsdiskussion gehört, dass eh alle wollen, aber die Lösungen fehlen. Das sehe ich anders. Die Lösungen liegen am Tisch und Nachhaltigkeit fängt immer bei uns selbst an. Wir müssen jetzt unsere ganze Genialität nutzen und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung einsetzen. Wir haben es geschafft, zum Mond zu fliegen. Können wir jetzt also bitte alles an Ressourcen bündeln, innovieren und gemeinsam die großen Themen unserer Zeit angehen? Schluss mit Warten auf die Politik. Schluss mit darauf warten, dass andere los- oder vorgehen. Raus aus der Warteschlange und selbst loslegen, ist mein Appell an alle. Wir sind genial als Menschheit. Lasst uns das für die größte Herausforderung unserer Zeit nutzen.

Danke für deine klaren Worte und das Interview, liebe Sabine.

Vielen Dank auch von meiner Seite.

Foto Sabine Schellander: Copyright 2022 Greiner AG

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